„Reine Kopfsache“ – Jürgen Tiedemann über 36 Jahre Musik in Münster
Münster – Fast vier Jahrzehnte lang hat Jürgen Tiedemann das Musikleben in Münster geprägt. Vor seinem Abschiedskonzert mit allerlei prominenten Überraschungsgästen hat er uns erzählt, was die Arbeit mit dem Collegium musicum so besonders gemacht hat.
Interview mit Dirigent Jürgen Tiedemann
Von Robin Gerke | Westfälische Nachrichten | 22. Januar 2024
Münster – Nach 36 Jahren hat Jürgen Tiedemann am Donnerstag zum letzten Mal den Taktstock aus der Hand gelegt. Zumindest als Dirigent des Collegium musicum instrumentale des großen Sinfonieorchesters der Uni Münster. Ein Abschied, den er mit seinen Musikern nebst dem einen oder anderen Überraschungsgast feiern durfte und der ihm alles andere als leicht fällt. Wir haben uns vor seinem letzten Konzert über die vielen Jahrzehnte unterhalten, in denen er das Musikleben in Münster maßgeblich geprägt hat.
Seit 1988 haben Sie das Collegium musicum geleitet. Mit was für einem Gefühl treten Sie nun vom Dirigentenpult zurück?
Jürgen Tiedemann: Das Orchester und ich sind schon sehr zusammengewachsen. Ich habe ja schon zu Zeiten meines Vorgängers Diethard Riehm als Geiger im Orchester gespielt, in den späten 70er-Jahren. Es sind heute noch Musiker dabei, die damals schon mitgespielt haben, es gab natürlich immer Wechsel und Erneuerung – das Orchester hat eine ganz eigene Identität. Jetzt abzugeben, ist im Grunde reine Kopfsache. Ich werde bald 80, da sollte man gehen, solange man noch gehen kann.
Ich höre da heraus, dass Ihnen die Entscheidung nicht ganz leicht fällt…
Tiedemann: Nein. Die Neigung ist immer noch da, es macht mir immer noch einen riesengroßen Spaß. Auch bei der Vorbereitung für die letzten Konzerte war da wieder diese Begeisterung für die Musik, vor allem auch vonseiten der Musiker, die uns ja als Orchester immer weiter gebracht hat.
Wie haben Sie Ihre Anfänge als Dirigent in Münster in Erinnerung?
Tiedemann: Herr Riehm suchte damals einen Nachfolger. Ich war einer der Kandidaten, die infrage kamen, und als ich gerade vom Dirigenten-Examen in Detmold wiederkam, hieß es: „Du musst gar nicht erst erzählen, mach du das mal.“ Wohl auch, weil ich bereits Stimmproben mit den Streichern gemacht und die eine oder andere Aufgabe übernommen hatte.
Wie war es für Sie, dann direkt ein großes Orchester zu übernehmen?
Tiedemann: Das fiel mir merkwürdigerweise leicht. Ich konnte gut kommunizieren, und es war schließlich immer eine gemeinschaftliche Arbeit, bei der ich nichts diktatorisch einfordern musste – auch weil es gute Musiker waren, die da gespielt haben. Ich fühlte mich immer gut verstanden.
Was waren Ihre persönlichen Highlights aus diesen 36 Jahren?
Tiedemann: Spektakulär war natürlich der Auftritt mit den vier Hornisten der Sächsischen Staatskapelle. Oder als wir „Harold in Italien“ gespielt haben, das Berlioz für Paganini komponiert hatte. Und weil das Stück ja indirekt die Lebensgeschichte Lord Byrons erzählt, haben wir noch Schumanns „Manfred“ (welches auch auf einem Werk Lord Byrons basiert, Anmerkung der Redaktion) ins Programm aufgenommen. Das sind Momente, wo man ein Programm zusammenstellt, in dem hinterher alles perfekt passt – wo aber auch eine ganze Menge Grübelei dahintersteht. Auch sehr eindrucksvoll war das Konzert im vergangenen Jahr, als wir die Sommernächte von Berlioz gespielt haben. Ein sehr intimes Stück für Gesang und Orchester, in dem es Momente gab, wo sich die Musik aus dem Orchester, von der Bühne gelöst hat. Ein Konzert, bei dem man hinterher gar nicht sagen musste, dass es super war.
Gibt es etwas, das Ihnen bei Ihrem letzten Konzertprogramm besonders wichtig war?
Tiedemann: Die Akademische Festouvertüre von Brahms musste natürlich sein. Die Finlandia-Hymne von Sibelius, die ja aus dem Protest gegen die russische Fremdherrschaft entstanden ist, hat einen immer noch aktuellen Bezug, die konnte ich mir nicht verkneifen. Ich dachte, es wäre nicht gut, tragisch aufzuhören. Da ich Özgür Aydin sehr gut kenne, habe ich ihn gefragt, ob er „Rhapsody in Blue“ spielen will, das wäre doch ein schöner Knaller zum Schluss. Er hat sofort zugesagt.
Mit Laien arbeitet man anders als mit Profis: Was ist das Besondere an der Arbeit mit einem Amateurorchester?
Tiedemann: Ein Profiensemble steht immer unter Druck, es besteht Lieferzwang. Ein Programm muss nach wenigen Proben stehen. Mit Amateuren hat man mehr Zeit, sich der Musik zu widmen und auch Musik zu vermitteln. Außerdem ist es bemerkenswert, wie viel ihrer Zeit und Energie Amateure, die ja schließlich auch ihren Beruf oder ihr Studium meistern müssen, für die Musik aufbringen.
Was wünschen Sie Marion Wood, Ihrer Nachfolgerin?
Tiedemann: Dass sie die gleiche Freude an der Arbeit hat, wie ich sie hatte. Eine Freude, die durch Erfolg entsteht, denn es ging mir nie darum, einfach nur Spaß zu haben, sondern zu merken: Da entwickelt sich was, es gibt eine Richtung.
Was wird Sie in Zukunft umtreiben? Musikalisch und auch sonst?
Tiedemann: Das Interesse an der Musik bleibt natürlich bestehen, ich werde ins Konzert gehen und mich intensiver meiner Schallplattensammlung widmen. Außerhalb der Musik gibt es auch einige Projekte, zum Beispiel mein Segelboot, mit dem ich in Zukunft längere Törns unternehmen will. Dann habe ich noch Kinder in Berlin und Hamburg, die ich öfter besuchen will.