Orgelkonzert ohne Orgel

von Chr. Schulte im Walde, Westfälische Nachrichten, 15. Januar 2019

Die Orgel ist bekanntlich die Königin der Instrumente. Vielleicht kann man sie noch feierlicher auftreten lassen, wenn man ihr einen Mantel aus schwerem Brokat umlegt und die für sie bestimmte Musik von einem groß besetzten Sinfonieorchester spielen lässt. So jedenfalls dachte der berühmte Dirigent Leopold Stokowski in den 1920er Jahren, als er Johann Sebastian Bachs Orgelpassacaglia c-Moll orchestrierte. Diese Version macht was her! Und sie gab dem Collegium Musicum beim Semesterabschlusskonzert am Mittwoch im großen Hörsaal schöne Gelegenheit, sich von seiner farbigsten Seite zu zeigen.

Was auf der Orgel von „nur“ einer Klangfarbe präsentiert wird, verteilt Stokowski auf verschiedene Instrumentengruppen. Ein Hin und Her der Motive – oder auch ein noch deutlicheres Zeichnen des omnipräsenten Themas, wenn etwa die Hörner es markant verstärken und dadurch hörbarer machen.

Insgesamt ist dieses Bach-Arrangement mit satten Streichern und tiefem Blech natürlich nahe dran am süffigen Breitband-Sound, den man eher in einem Kino-Streifen erwartet. Aber warum nicht? Es gehört zu haben, war allemal eine große Freude. Und Bachs Matthäus-Passion hat man vor weit weniger als 100 Jahren auch sinfonisch, mit acht Kontrabässen und Hundertschaften im Chor aufgeführt.

Nach der Pause noch einmal Orgelmusik. Oder jedenfalls solche, die in diesen Kategorien gedacht war: Anton Bruckners 2. Sinfonie. Zu deren Entstehungszeit war Bruckner als Komponist kaum bekannt, sehr wohl dagegen als erfolgreicher Konzertorganist, der in allen europäischen Metropolen stürmisch gefeiert wurde, vor allem für seine Kunst der Improvisation. Der Organist Bruckner ist spürbar auch in seiner Sinfonie. Etwa in der terrassenförmigen Anlage der Dynamik, die Coll-Mus-Dirigent Jürgen Tiedemann ausgezeichnet herausarbeitete: stufenweises An- und Abschwellen der Lautstärke, so wie beim Wechsel der Manuale auf der Orgel; spielerischer Umgang mit den Orchesterfarben, vergleichbar dem Ein- und Ausschalten diverser Register. Das verlangt Präzision, an der an diesem Abend gewiss kein Mangel war. Insgesamt ist dieser Bruckner angesichts des oft fragmentierten Charakters der Musik, der vielen (hier sorgsam eingehaltenen) Generalpausen, der vielschichtigen motivischen Anlage eine enorme Herausforderung. Was dem Collegium den letzten Schliff geben würde: ein gemeinschaftlich synchrones Gefühl für die Tempi. Großer Beifall für ein außerordentliches Konzerterlebnis.

Dabei ist niemand besser qualifiziert als das Hornquartett der Staatskapelle, das Konzertstück für vier Hörner und Orchester von Robert Schumann aufzuführen. Immerhin hat der Komponist es Anno 1849 just den traditionsreichen Dresdnern und vor allem deren Hornisten nachgerade auf den Leib geschrieben. Letztere beschäftigten sich damals nämlich just mit neuartigen Ventilhörnern und erkundeten mit ihnen ganz neue Möglichkeiten jenseits der Grenzen, die das Naturhorn bis dahin gesetzt hatte. Chromatische Linien waren auf einmal möglich, auch entlegene Tonarten. Um den Preis etlicher spieltechnischer Klippen, die zu umschiffen bis heute größte Risiken birgt.

Nichts davon bei Zoltán Mácsai, Jochen Ubbelohde, Julius Rönnebeck und Miklós Takács. Im Gegenteil: deren Eleganz und Selbstverständlichkeit im Umgang mit diesem heiklen Stück und vor allem die absolut souveräne Beherrschung ihrer Instrumente machte sofort vergessen, dass dieser Schumannsche Dreisätzer eigentlich ein enormer Kraftakt ist. Auch und gerade in der zart fließenden Romanze mit ihren reichen harmonischen Wendungen. Aber wie die Nobel-Kapelle aus Elbflorenz insgesamt zur Weltspitze gehört, gehören auch die in Münster brillierenden Solisten zum Besten, was man sich wünschen kann.

Und Jürgen Tiedemanns „Collmus“ ließ sich von diesem solistischen Luxus im großen Hörsaal beflügeln. Was hat dieses Orchester in den letzten Jahren doch an Qualität zugelegt. Schumann perlte im schönsten Einverständnis mit den Hörnern, und Antonín Dvořáks Sechste Sinfonie geriet den Akteuren zu einem echten Meisterstück, was rhythmische Präzision, dynamische Schlüssigkeit und unbändige Spielfreude angeht. Paradebeispiel: der aufregende dritte Satz, der „Furiant“, der seinem Namen furios alle Ehre machte. Da sprang der Funke ganz unmittelbar auf das Publikum über. Am Ende großer Jubel für einen fantastischen Konzertabend.