Emotionaler Abschied unter Freunden
Münster – Jürgen Tiedemann hat sich als Dirigent „seines“ Collegium musicum instrumentale der Universität Münster verabschiedet. Nach 36 Jahren! Kein Wunder, dass das Konzert im proppenvollen H1 es in sich hatte. Götz Alsmann war nur einer von zahlreichen Überraschungsgästen. Von Christoph Schulte im Walde
Westfälische Nachrichten & Münstersche Zeitung vom 19. Januar 2024
Kaum hatten sich die Türen zu Münsters größtem Hörsaal H1 am Schlossplatz geöffnet, waren die rund 900 Plätze auch schon besetzt. Restlos. Wer am Donnerstagabend später kam, musste sich – wie schon zwei Tage zuvor – mit einem Stehplatz begnügen. So rappelvoll waren die Konzerte des Collegium musicum instrumentale der Universität zum Semesterabschluss seit Jahren nicht mehr. Kein Wunder, denn es waren ganz besondere Konzerte, mit denen sich ein echtes Urgestein der münsterschen Musik-Szene verabschiedete: Jürgen Tiedemann.
Rekordverdächtige 36 Jahre stand Tiedemann, ein Vollblutmusiker par excellence, am Dirigentenpult des von seinen Fans liebevoll „Coll mus“ genannten Orchesters. Nun also ein letztes Mal. Und, wie so oft, auch diesmal wieder mit einem exquisiten Programm. Spritzig, temperamentvoll, energiegeladen und durchaus auch etwas melancholisch. All diese Momente stecken zum Beispiel in Jean Sibelius‘ sinfonischer Dichtung „Finlandia“ – eine prächtige Eröffnung, die gleich zu Beginn den ganz großen „Orchesterapparat“ präsentierte. Wie so oft platzte die Bühne des Hörsaals aus allen Nähten. Den Kummer über diese Enge ist das „Coll mus“ aber längst gewohnt, stand deshalb der quirlig genommenen „Akademischen Festouvertüre“ von Johannes Brahms ebenso wenig im Wege wie der beschwingten Walzerseligkeit der „Rosenkavalier-Suite“ von Richard Strauss.
Wenn eine Ära zu Ende geht, finden sich langjährige Weggefährten des Orchesters und seines Dirigenten ein. So der Pianist Özgür Aydin mit einer unglaublich toll swingenden „Rhapsody in blue“ von George Gershwin, bei der schon ein zweiter prominenter Musiker (noch) ganz unspektakulär am Rand des Podiums saß: Götz Alsmann! Der kann ja so ziemlich alles. In diesem Falle Banjo spielen, geistreich reden, charmant und verführerisch singen („Das machen nur die Beine von Dolores“ von Michael Jary) – und mit Präzision jene Schreibmaschine traktieren, der Leroy Anderson sein unverwüstliches und weltberühmtes Stück „The Typewriter“ gewidmet hat. Herrlich!
Natürlich gab es auch Grußworte: Johannes Wessels, Rektor der Uni Münster, und Musikwissenschaftler Michael Custodis unterstrichen ihre große Wertschätzung für Tiedemanns Arbeit, vor allem auch für das Orchester als Ort der Kommunikation, das verschiedene Kulturen ebenso wie mehrere Generationen miteinander verbindet. Keine „trocken“ formulierte Sätze, ganz im Gegenteil! Und nicht ganz ohne Blick auf die derzeit im Stottern verharrende Diskussion um einen adäquaten Konzertsaal respektive Musik-Campus für Münster, der auch dem „Coll mus“ dienlich wäre.
Und das Finale? Das stand „Unter Donner und Blitz“! So der Titel der Polka von Johann Strauß als fulminanter Kehraus, zu dem sich weitere Weggefährten ins Orchester mischten: Kapellmeister Thorsten Schmid- Kapfenburg, Journalist und Moderator Christian Schruff und – wer hätte damit gerechnet – Will Humburg, langjähriger Generalmusikdirektor in Münster und ehemaliger Chef von Jürgen Tiedemann. Der zeigte sich sichtlich berührt – und bekam minutenlangen Applaus.
Der Taktstock wird im Wintersemester 2024/2025 an die Dirigentin Marion Wood übergeben.