Musikalische Höchstleistung im Schwitzkasten
Schwere Kost aus dem 20. Jahrhundert bei Temperaturen um die 40 Grad – sollte man sich das wirklich antun? Unbedingt, findet unser Rezensent.
Von Robin Gerke | Westfälische Nachrichten | 6. Juli 2025

Höchstleistung bei 40 Grad auf der Bühne: Das Collegium Musicum und der Madrigalchor der Uni Münster unter Marion Wood. Foto: Robin Gerke
Es ist schon erstaunlich: An einem der heißesten Tage des Jahres ist das Jovel deutlich weniger attraktiv als der direkt dahinter verlaufende Kanal. Trotzdem gibt es nicht mehr viele Sitzplätze beim Semesterkonzert des Collegium Musicum Instrumentale mit dem Madrigalchor. Ein paar Grad weniger, und eine Handvoll kurzentschlossener hätte mit Sicherheit für ein ausverkauftes Haus gesorgt.
Das würdigen die beiden Ensembles unter der neuen Dirigentin Marion Wood mit körperlichem Schwersteinsatz – auf der Bühne hat es um die 40 Grad – und mit einer musikalischen Qualität, die seit Woods Debüt im Januar nochmal eine Schippe zugelegt hat. Gut, dass die Akustik im Jovel das ihrerseits besser würdigt als die im H1. Und auch die verwaisten Theken und Zapfhähne, zwischen denen das Publikum sitzt, blendet selbiges schnell aus.
Zutiefst romantische Tonsprache
Während die Zuschauerschaft den Aggregatzustand in Richtung flüssig ändert, entfaltet sich nämlich ein wirklich feines Zusammenspiel auf der Bühne. Zunächst rein orchestral in Sergei Eduardowitsch Bortkiewicz‘ erster Sinfonie, in der der Komponist einen wehmütigen Rückblick auf seine verlorene ukrainische Heimat wirft. So aktuell der Bezug, so aus der Zeit gefallen wirkt diese zutiefst romantische Tonsprache, wenn man bedenkt, dass man es hier mit einem Komponisten zu tun hat, der beide Weltkriege erlebt hat.
Gleiches gilt für Michael Tippett, der sein berühmtes Oratorium „A Child of our Time“ vor dem Hintergrund der Novemberpogrome 1938 komponierte. Beides freilich keine sommerlich-leichte Kost, zumal erschreckend aktuell. Aber es lohnt sich, denn vor allem das zweite Werk des Abends entfaltet mit dem (personell etwas aufgestockten) Madrigalchor einige wirklich bewegende Momente – nicht zuletzt dank der effektvoll komponierten und vorzüglich umgesetzten Solo-Partien (Aline Klieber, Arta Spahiu, Nils Hientzsch, Christoph Scheeben, respektive S, A, T, B).

Nils Hientzsch (Tenor), Aline Klieber (Sopran), Arta Spahiu (Alt) und Christoph Scheeben lassen sich mit Marion Wood (vorne, 2.v.r) feiern. Foto: Robin Gerke
Im Kontrast zur Terror-Fuge „Burn down their houses“ (Brennt ihre Häuser nieder) endet das groß angelegte Oratorium mit einer Verarbeitung des Spirituals „Deep River, my home is over Jordan“. Zu Tippets Zeiten als zu versöhnlich kritisiert, stiftet es heute ein dringend gebrauchtes Gefühl von Hoffnung. Dafür ein bisschen zu schwitzen, ist wohl das mindeste.
Ein Programm für die nächsten Semesterkonzerte am 27. und 29. Januar gibt es noch nicht. Im Kalender einkreisen sollte man sie sich trotzdem.