Braver Brahms in wohliger Watte

von Markus Küper, Westfälische Nachrichten, 7. Juli 2005

Collegium musicum und Martin Dehning spielen im H 1

Martin Dehning versucht gar nicht erst, dem Collegium musicum die Show zu stehlen. Und tut es gerade deshalb doch. Er weiß: Paganinihaft protzen kann er hier, in Brahms berüchtigter „Geigen-Sinfonie“, nicht. Statt virtuos glänzen zu wollen, sucht er demutsvoll die Nähe. Zu einem Orchester, das seine ungewohnte Souveränität nur etwas zögerlich preisgibt. Als wollte es partout den in seiner Virtuosenehre gekränkten Sarasate Lügen strafen, der es einst als eine Zumutung empfand, „mit der Geige in der Hand zuzuhören, wie die Oboe dem Publikum die einzige Melodie des ganzen Stückes vorspielt“.

Heraus kam ein etwas braver Brahms. Einer, der die Violine in jenem, von Sarasate sträflich verschmähten Adagio in wohlige Watte bettete. Einer, der die Violine immer wieder zur Domina machte. Ob die wollte oder nicht. Dehning fügte sich. Erstaunlich, was für zarte, geradezu süssliche Töne der Fachmann für Neue Musik in diesem pastoralen Brocken doch zauberte, wie überzeugend der Hochschulprofessor die Balance zwischen ausladend romantischem Gestus und gezügelter Selbstkontrolle suchte, im Kopfsatz rhapsodisch aufblühte, die delikaten Arabesken des verträumten Binnensatzes hintupfte, um dann im feurigen Zigeuner-Kehraus vollgriffig eben jene Rampensau zu mimen, der jürgen Tiedemanns Mannen hier so dankbar hätten Paroli bieten können.

Was bei Brahms hemmte, war bei Schumanns Vierter (die eigentlich seine Zweite ist) eine Tugend. Man muss halt nur tun, was in den Noten steht, um zu merken, was für ein großartiger Symphoniker der Düsseldorfer doch war. Der in Granit gehauene Vorwurf, Schumann hätte nicht instrumentieren können – er bröckelte im H 1 gewaltig. Eben weil Tiedemann nicht an der Partitur herumdokterte, sondern einfach spielte. Und siehe da: Sein Schumann hat Schmackes, hat Drive und eine enorme Innenspannung. Intensive, aufbrausende Crescendi, effektvolle Subito-Piani, ein herrlich pulsierendes Holz und eine furiose Coda – einer großartig gestaffelten Blech-Formation sei Dank.

Ein Schumann wie aus einem Guss, der auch dem letzten Anflug von Verhaltenheit im wahrsten Sinne gehörig den Marsch bläst. So sollte es in der von Brahms zwar wenig geschätzten, vom Publikum dafür umso emphatischer gefeierten Version von 1851 sein. Danke! Auch für die Gewissheit, um wie vieles besser Schumann doch in die Nähe Haydns als in die von Bruckner passt. Allein diese Vierte lohnt den Weg in den großen Hörsaal.