Violinen reiten schneidige Attacken
von Arndt Zinkant, Westfälische Nachrichten, 3. Juli 2014
Da wird in England im Jahre 1935 ein Cellokonzert uraufgeführt – worauf seine Partitur viele Jahrzehnte in der Rumpelkammer der Musikgeschichte verstaubt. Bis Anno 2014 das Collegium musicum Münster sich ein Herz fasst und im Großen Hörsaal diesem Stück eine zweite Chance gibt. Was war da nur geschehen?! Moderator Stephan Schulze hatte wie immer eine gute Einführung parat: Zuerst erfuhr das Publikum, wer der Komponist Franz Reizenstein war, und gehörte in der Pause dann zu jenem winzigen Teil der Weltbevölkerung, die dessen Cellokonzert nun kennt.
Den Interpreten gebührt ohne Frage Respekt – allein schon wegen der technischen Schwierigkeiten, die das Werk bereithält. Die Musiker unter Leitung von Jürgen Tiedemann kämpften sich dramatisch durch die von Hindemith inspirierte „Pseudo-Harmonik“ (wie Stephan Schulze es nannte), rührten die Töpfe scharfer Dissonanzgewürze, wussten aber auch manch spätromantische Kantilene satt auszuspielen. Streicher und Bläser behakelten sich, durchschnitten von grellen Piccolos, und am Ende des Kopfsatzes ritten die Violinen eine schneidige Attacke.
Und der Solist Sebastian Foron? Er war der eigentliche Impulsgeber dieser Aufführung, ein umtriebiger Streiter für vernachlässigte Stücke, der durch seinen eigenen Lehrer auf Reizensteins Rarität gestoßen war. Er stürzte sich mit Emphase in den Cellopart, druckvoll und engagiert setzte er sangliche Linien gegen hart gepanzerten Orchestersatz. Doch wer sein Spiel mit Vibrato in Doppelrahmstufe garniert, riskiert auch mal Intonationsschleifer.
Am schönsten gelang der langsame Satz. Hier gab es klangschöne Tableaus, die den Filmmusiker Reizenstein verrieten. Noch ein Wort zu diesem vergessenen Komponisten: Wie so viele emigrierte er als Jude aus Deutschland, wurde auf der britischen Insel aber wegen seiner deutschen Herkunft diskriminiert. Ein Mann mit Schelmen-Humor, dessen „Concerto Popolare“ Moderator Schulze auf Youtube zum Anklicken und Grinsen empfahl. Tschaikowsky, Grieg und Co. durch den Wolf gedreht.
Nach der Pause Dvořáks siebte Symphonie, die zu seinen besten Werken überhaupt zählt. Und das „Collmus“ brachte dies Repertoire-Stück klangschön und präzise über die Rampe. Hier, wo weniger böhmisches Musikantentum und slawische Tanzseligkeit als düsteres d-Moll-Gewölk die Szene beherrscht, schlug Jürgen Tiedemann Funken aus der Partitur. Im Adagio trifft brahmssche Melancholie auf Wagners Tristan-Chromatik, und das Finale zeigt den sonst idyllischen Dvořák mit trotziger Faust.