Sinfonie zum Sonnenaufgang
von Günter Moseler, Münstersche Zeitung, 20. Januar 2010
Auch Tonarten machen Karrieren. Der Tonart e-Moll war ihre größte Zeit in der Romantik beschieden, und kein Werk ließ ihre dunkle Glut heller aufflammen als Felix Mendelssohn Bartholdys Violinkonzert op. 64. Im Semesterkonzert des Collegium musicum in Münsters H 1 spielte die junge Geigerin Kathrin ten Hagen aus Steinfurt diese Stück mit nobler Leidenschaft, ohne der Verlockung wilder Raserei zu verfallen.
Der magische Beginn, das Herzpochen der Pauke, die schwirrenden Streicher, der gedämpfte, untergründige Klang, all das gelang der Solistin und dem Orchester mit leichtem Ansatz.
Hitzige Musik
Überhaupt war die Interpretation durch wohldosierte Konzentration gekennzeichnet, in der das Seelenvolle über das Schmachtende souverän die Oberhand behielt. So entfaltete sich die melodische Sogkraft dieser Musik mit Elan, stürmte ten Hagen durch klein gedruckte Hitzigkeiten, wurde vom sorgfältigen Dirigat Jürgen Tiedemanns diskret umworben und zugleich durch sanfte Übergänge manövriert.
Der zweite Satz vertrug offensichtlich eine beträchtliche Portion Vibratissimo, mit der die Geigerin die himmelhohe Schwärmerei des Hauptthemas grundierte. Im Finale hob Tiedemann scheinbar unscheinbare instrumentale Details sinnstiftend
hervor, während die Solistin sich nun doch der Lust zum überschäumenden Gestus hingab.
Dann folgte Sergej Rachmaninoffs zweite Sinfonie, eine Musik voller e-Moll-Herzblut für hundert Jahre Leidenschaft. Rechts von der Bühne nahm ein Bläsertrupp Aufstellung. Sie sollten glänzende Sonnenauf- und – untergänge polieren, Tränentäler und Pathosgebirge beleuchten.
Akkorde wie Sahnetorten
Tatsächlich gelang dem Orchester in diesem schweren Stück eine Interpretation voller Nuancen, die jene übergroßen Gesten klanglich relativierten und so das Technicolor dieser Gefühlswelt abmilderten. Zügig durchschritt man die zähnefletschende Durchführung des Kopfsatzes, bewältigte mit straffem Strich das gleißende Scherzo, sprintete sportiv durchs Fugato und türmte balancesicher die süffige Akkordik des Adagios wie schwere Sahnetorten.
Ein fabelhafter Abend, der auch ein großes Plädoyer für eine große Sinfonie hielt. Begeisterter Beifall.