Rauschender Applaus für die Sängerin
von Arnd Zinkant, Westfälische Nachrichten, 23. Januar 2013
„Wagner war immer auf der Flucht. Wagner war immer in Geldnot. Und Wagner hatte immer Stress mit Frauen.“ Stephan Schulze brachte es knackig auf den Punkt. Der Posaunist und Moderator des Collegium musicum war wie üblich bestens vorbereitet und referierte ohne Manuskript. Und Dirigent Jürgen Tiedemann ließ sein Orchester vor und nach der Pause so kraftvoll wagnern, wie es selbst eingefleischte „Collmus“- Fans nicht erwartet hätten.Zunächst zum Stress mit dem weiblichen Geschlecht: Es war die junge, verheiratete Mathilde Wesendonck, die Wagners Herz entflammte. Sie schrieb Gedichte, die der Meister vertonte – eine verbotene Affäre, die nicht nur biografisch zum Tristan-Stoff vorauswies, sondern auch musikalisch. Wenn Mathilde blumig-melancholisch „Im Treibhaus“ dichtet, wirft der dritte Tristan-Akt seinen Nachtschatten voraus, verströmt das Englischhorn das süße Gift des Liebestranks.
Es ist Mareike Morr, die diese „Wesendonck-Lieder“ mit absolut Wagner-typischem Mezzo singt. Dunkel, kraftvoll, aber doch leise und intim. Kein Klischee behelmter Heroinen bestimmt diese Musik. Mit fast instrumentaler Stimmführung fügt sich Mareike Morr in den feinen, teils achtfach verästelten Streichersatz. Der ist nicht von Wagner, sondern von Hans Werner Henze, der diese Orchestrierung 1976 im Auftrag des WDR erstellte. Eine schöne Hommage an den im vorigen Jahr gestorbenen Maestro. Rauschender Applaus belohnt die 35-jährige Sängerin, die zu dem Ensemble der Staatsoper Hannover gehört.
Dass auch der übrige Wagner ein Genuss ist, muss man aufs Konto der an diesem Abend grandiosen Blechbläser buchen. Die choralhaft schwebenden Klänge des Parsifal-Vorspiels gelingen Gänsehaut- treibend – auch wenn Jürgen Tiedemann das Stück zügig an die Grenze eines Allegros treibt. Und was den „Karfreitagszauber“ angeht (der eben auch ohne den weisen Gurnemanz bezaubert) – die Streicher malen das pastorale Idyll betörend.
Ein gelungenes, unsentimentales Mahler-Adagietto (berühmt durch Viscontis „Tod in Venedig“-Film) und eine zupackende Verdi-Ouvertüre beenden das Konzert. Wuchtig wallt „Die Macht des Schicksals“!