H1 für Mahler zu klein
von Arndt Zinkant, Westfälische Nachrichten, 31. Januar 2008
Nur eine einsame Trompete, die links oben im Auditorium steht. Immer wieder intoniert sie mit Dämpfer ihre kleine Tonfolge, minimal variiert – „die ewige Seinsfrage“, wie Charles Ives sie komponierte. Die Flötengruppe, etwas höher auf der anderen Seite, antwortet – jedes Mal etwas lauter, hektischer, dissonanter. Bis beim siebten Mal die Antwort ausbleibt. Die Streicher unten auf dem Podium kümmert all dies nicht – sie verharren als „Stille“ im Gleichmaß reiner Akkorde. „The Unanswered Question“ von Charles Ives erfuhr durch das Collegium musicum unter Jürgen Tiedemann eine intensive, hochklassige Aufführung.
Das kurze Werk (es wurde zwei Mal gespielt) ist Ives’ bekanntestes, obwohl – oder gerade weil? – es so simpel philosophisch dräut und damit den Blick auf bessere Ives-Stücke verstellt. Zum Beispiel auf seine dritte Symphonie, deren Partitur Gustav Mahler bei einem USA-Aufenthalt entdeckte, begeistert mitnahm und so ihr jahrzehntelanges Verschwinden verursachte.
Mit dieser Anekdote schlug Dr. Berthold Warnecke den Bogen zu Gustav Mahler. Eine gute, willkommene Einführung, denn die Kopplung ist nicht unbedingt sinnfällig – mochten beide Musiker auch mit „unseriösen“ Alltagsgeräuschen pralles Leben in ihre Symphonik gepflanzt haben.
Ist der Große Hörsaal 1 zu klein? Für ein Mahler-Orchester bestimmt! Das Blech zwängte sich rechts vors Podium, die Harfe postierte sich mittig, und die Schlagzeug-Gruppe saß dem linken Zuschauerflügel förmlich auf dem Schoß. Was wie ein optischer Protest für eine Musikhalle aussah, klang gar nicht so übel: Mahlers klassizistisch „niedliche“ Vierte kam wie bombastische Kammermusik daher. Was an sinnlichem Fin-de-Siècle-Klang fehlte, wurde von Maestro Tiedemann mit transparenten Linien wettgemacht. Die Streicher, deren „kosmische Ruhe“ schon bei Ives gefiel, trugen keinen Zuckerguss auf, und die sehr prägnante Holzbläsergruppe zog neckisch vor Mozart und Haydn den Hut. Worauf der Schlagzeugdonner doppelt knallig hineinfuhr!
Allein das Scherzo hätte mehr Schwung gebraucht. Am Ende, als Carol Saint-Clair mit Augenzwinkern vom „himmlischen Leben“ sang, gab es einige Schreckminuten, nachdem eine junge Cellistin in einem Schwächeanfall vom Stuhl gesunken war. Umso größer und herzlicher war der Beifall für den beeindruckenden Abend.