Ein Pokal wäre fällig
von Chr. Schulte im Walde, Westfälische Nachrichten, 8. Juli 2016
Ganz Deutschland lag am Donnerstag im Fußball-Fieber. Ganz Deutschland? Von wegen! Denn wenn es richtig gute Musik live auf der Bühne gibt, dann machen sich Münsters Klassik-Fans auch trotz Europameisterschaft auf die Beine.
Nun gut, vielleicht nicht ganz so viele wie sonst – aber das Spiel der Riesenmannschaft von Orchester-Coach Jürgen Tiedemann namens „Collegium musicum“ haben immerhin eine ganze Menge Zuhörer im großen Hörsaal begeistert verfolgt. Und sie bekamen Großartiges zu hören: Edvard Griegs Klavierkonzert a-Moll mit der erst 15-jährigen Pianistin Sonja Kowollik.
Gleich vorweg: Wer mit 15 Jahren diesem Gipfel der Klavierliteratur ein derart tiefes Verständnis entgegenbringt wie Sonja Kowollik, hat Griegs Partitur regelrecht im Blut und tief in sich aufgesogen.
Wie aus einem Guss und mit großer gestalterischer Intelligenz ging die Solistin aus Münster ans Werk, mit den Ohren offensichtlich immer auch im Orchester, dem sie auf geradezu symbiotische Weise verbunden war.
Da wurde organisch geatmet, die Dynamik genauestens austariert, hier agogische Freiheit ausgekostet, dort mit rhythmischer Präzision gearbeitet – Chapeau! Und spieltechnisch steht sie ohnehin über den Dingen, die Grieg von ihr verlangt. Der generelle Eindruck: Kowollik geht es um nichts als die Musik. Da ist kein Moment vordergründiger Selbstdarstellung, wird kein Virtuosentum als Attitüde zelebriert. Stattdessen nur das Aufspüren sowohl all des Poesievollen als auch der urwüchsigen Kraft, wie sie etwa im Beginn des Finalsatzes steckt. Eine gültige, reife Leistung.
Solch eine fantastische Solistin wie Kowollik schien auch das gesamte „CollMus“ zu inspirieren, zu beflügeln. Denn wieder einmal wuchs es über sich hinaus, zuerst mit Grieg, anschließend mit Johannes Brahms’ zweiter Sinfonie. Die ist nun auch alles andere als ein orchestraler Spaziergang. Oder anders ausgedrückt: Der Teufel steckt, was diesen Viersätzer angeht, auch hier wie immer im Detail. Egal, ob es um rhythmische oder klangliche Angelegenheiten geht. Aber Jürgen Tiedemann hat sein „CollMus“ auch diesmal perfekt trainiert, präsentiert samtene Streicher, hellwache Holzbläser und Flöten. Die vier Hörner, von Brahms gern und ziemlich oft an prominenter Stelle eingesetzt, sind fabelhaft, auch die übrigen Blechbläser.
Nicht zuletzt fordert so ein Schwergewicht wie Brahms’ Zweite das Orchester als großen Teamplayer heraus. Diese Aufgabe hat das „CollMus“ mit Bravour bestanden. Gäbe es dafür einen glänzenden Pokal – hier wäre er fällig!