30 Sekunden Höllenfahrt auf der Trompete

von Lukas Speckmann, Westfälische Nachrichten, 9. Februar 2006

David Salomon Jarquin spielt beim Collegium musicum

Wer heute Abend noch nichts vorhat, sollte in den H1 gehen. Dort spielt David Salomon Jarquin Trompete. Schließlich könnte es ja sein, dass man dermaleinst um eine Anekdote verlegen ist, dann hätte man folgende zu erzählen: Stellt euch vor, ich hab den Jarquin mal gehört, da war er 19 und spielte noch in Münster. Und alle werden staunen und sagen: Gibt’s doch gar nicht! Also besser nicht verpassen: 20.15 Uhr am Hindenburgplatz.

David Salomon Jarquin ist hier kein Unbekannter. Der international umtriebige Posaunistensohn aus Nicaragua wurde von Dietmar Schönherrs „Pan y Arte“-Stiftung gefördert, das Blechbläserensemble Embrassy hat ihn präsentiert. Bei der Gelegenheit verpflichtete Jürgen Tiedemann den Ausnahmetrompeter sogleich fürs Semesterkonzert des Collegium musicum.

Und zwar für das Allerheiligste des Repertoires: das e-Moll-Konzert op. 18 von Oskar Böhme. Moderator Berthold Warnecke stellt das Stück vor: Es ist das einzige hochromantische Trompetenkonzert von Rang, 1899 erschienen und absolut unspielbar. Für Jarquin scheinbar ein Spaziergang. Er bläst seine A-Trompete so mühelos als hätte er eine Blockflöte vor sich. Dabei ist er kein Angeber: Keine silbrige Glanz-Parade, kein sportliches 32tel-Schießen, klingt alles ganz harmlos. Dieses aberwitzig virtuose Konzert wirkt in dieser Lesart federleicht und elegant.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Böhmes Opus 18 ist ein Schmachtfetzen übelster Sorte. Aber als Spielplatz für einen Ausnahmemusiker genau das Richtige. Und das Orchester zelebriert vergnügt inbrünstige Streicherei mit Paukenwirbel.

Nach der Pause Schuberts Große. Sehr groß für das Collegium musicum. Aber Jürgen Tiedemann ist ein alter Dirigenten-Fuchs. Wenn es schwer wird: nur nicht locker lassen, tempo, tempo. Und siehe da, sie läuft rund, die Riesensymphonie. Sicher, dritter und vierter Satz müssen sich zusammenreißen. Auch der neumodisch leise Schlussakkord steht verloren im Raum, weil nicht ganz schIüssig. Doch ansonsten legt das Collegium musicum eine ehrgeizige, gut geprobte, in Einzelheiten vorbildlich ausgefeilte Interpretation vor. Schöne Holzbläser, tapferes Blech. Lässt sich gut hören.

Eine Zugabe gibt es nicht, das ist nach einer Stunde Schubert völlig in Ordnung. Aber David Salomon Jarquin hat noch etwas anzubieten: ein mexikanisches Volkslied in der Bearbeitung eines Wahnsinnigen. Eine 30-Sekunden-Höllenfahrt auf der Trompete. Danach kann nichts mehr kommen.